LEID, LIEBE UND OHNMACHT

Wir alle kennen den Impuls, einen geliebten Menschen retten zu wollen, wenn er leidet. Doch gerade darin liegt ein Paradox: Oft entspringt dieses Retten weniger echter Liebe als vielmehr unserer eigenen Angst – Angst vor Kontrollverlust, Angst vor dem eigenen Schmerz, Angst davor, die vertraute Komfortzone zu verlieren. Retten wirkt aktiv, groß und heroisch, während Helfen still, unscheinbar und beinahe hilflos erscheint. Und doch ist es genau umgekehrt: Retten bindet, nimmt Freiheit und Verantwortung, während Helfen Raum schenkt, Vertrauen weckt und die Eigenkraft des anderen achtet.

Dieses Paradox führt leicht zu Missverständnissen. Wer nur begleitet, ohne einzugreifen, gilt schnell als kalt oder egoistisch. Für den Unbewussten erscheint „Nicht-Retten“ als Lieblosigkeit, für den Bewussten ist es Ausdruck tiefster Liebe, weil es Freiheit ermöglicht. In diesem Spannungsfeld zeigt sich, wie sehr Leid, Liebe und Ohnmacht miteinander verwoben sind. Leid lässt sich nicht ungeschehen machen, Liebe darf nicht an Bedingungen geknüpft werden, und Ohnmacht ist nicht Schwäche, sondern Lehrmeisterin. Sie führt uns in die Demut, dass wir das Leben anderer nicht lenken, sondern nur berühren können.

So verändert sich der Blick: Wir sind nicht die Architekten des Weges anderer, sondern Begleiter. Wir gehen ein Stück des Weges gemeinsam, halten den Raum, schenken Präsenz und lernen loszulassen, wenn die Zeit gekommen ist. Liebe zeigt sich nicht im Kampf gegen das Unvermeidliche, sondern in stiller Achtung vor dem Weg der Seele. Vielleicht liegt genau darin die wahre Kraft: dass wir jenseits des Mainstreams erkennen, nicht retten zu müssen, sondern einfach Mensch zu sein.